Die Neuausrichtung …

… der ursprünglich als Augspurg-Heymann-Preis verliehenen Auszeichung war erforderlich geworden, nachdem 2015 mutmaßliche Aussagen von Lida Gustava Heymann aus dem Jahr 1907 publik wurden, die mit der Zielsetzung des Preises nicht vereinbar waren (siehe unten). Die Jury hat diesen Anlass dazu genutzt, die inhaltliche Ausgestaltung des Preises den aktuellen politischen Debatten und gesellschaftspolitischen Aufgabenstellungen anzupassen.

„CouLe – Preis für couragierte Lesben“ reflektiert die herausragenden Leistungen der bereits Ausgezeichneten ebenso wie er eine Ehrung für weitere lesbische Vorbilder darstellt. Oder anders gesagt: Die CouLe ist gleichzeitig Brückenbauerin und Zäsur.

So soll mit der neuen Auszeichnung die lesbische Vielfalt gezeigt sowie vor allem das Konzept der Widerständigkeit und Verletzlichkeit in den Mittelpunkt gestellt werden, wie es u.a. die Philosophin und Wissenschaftlerin Judith Butler beschreibt und sich für eine Mobilisierung von Verletzlichkeit stark macht, durch die politische Bewegungen entstehen können. Denn das Ausgesetzt-Sein in einer Verletzlichkeit kann ein Instrument des Widerstandes sein, um bestimmte Praxen und Personen sichtbar werden zu lassen – auch wenn sich das Individuum zeitgleich durch das eigene Exponieren verletzbar macht. So dient Widerstand dazu beispielsweise die gleiche Absicherung von Lebensbedürfnissen zu erlangen oder Aufmerksamkeit auf queere Perspektiven zu lenken. Und Verletzlichkeit entwickelt so ein empowerndes Potential.

Um dies zu visualisieren hat die Künstlerin Regine Rostalski aus Nordkirchen eine Skulptur geschaffen, die das scheinbar Widersprüchliche von Widerständigkeit und Verletzlichkeit miteinander vereint: Denn dem überaus widerstandsfähigen Werkstoff Metall hauchte sie eine zerbrechliche Zartheit ein.

Weitere Informationen zur Künstlerin: www.regine-rostalski.de

Die Kontroverse um den Augspurg-Heymann-Preis

Dr. Christiane Leidinger aus Berlin und Lena Laps aus Bochum haben die Jury im Juli 2015 darauf aufmerksam gemacht, dass Heymann 1907 auf einer Veranstaltung des Verbandes Fortschrittlicher Frauenvereine in Frankfurt am Main mutmaßlich sagte, dass man sich nicht scheuen dürfte, „Gesetze für die Vernichtung körperlicher und geistiger Krüppel“ zu erlassen (zitiert aus der Frankfurter Zeitung vom 27.9.1907, Nr. 268).

Die LAG Lesben in NRW hat Dr. Kerstin Wolff vom Archiv der Deutschen Frauenbewegung in Kassel um eine historische Einschätzung gebeten. In ihrem Gutachten beschreibt sie die Forschung zu den bevölkerungspolitischen Positionen der radikalen Frauenbewegung wie folgt:

  • Auch die Radikalen Frauenrechtlerinnen segregieren in ihren Argumentationen die Menschen in verschiedene Wertkategorien und formulieren eine Rassenhierarchie. Sie nahmen an, dass es ‚minderwertige‘ und ‚höherwertige‘ Rassen gibt, wobei letztere die weiße ist;

  • Auch die Radikalen argumentieren mit der Ökonomie und stellen Menschen unter volkswirtschaftliche Kriterien der Gewinnmaximierung;

  • Allerdings zeichnete sich das spezifische ‚feministische Rassehygieneverständnis‘ durch ein Festhalten am Grundrecht ALLER Menschen auf individuelle Freiheit aus. Sie verstanden Rassenhygiene immer als freiwillige, eigenverantwortliche Fortpflanzungsauslese.

Die Jury des Augspurg-Heymann-Preises und der Vorstand der LAG Lesben in NRW können diese Positionen nicht gutheißen, dennoch gehören auch sie zu den Biographien der Frauenrechtlerinnen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann. Nach heutigem Wissensstand haben sie sich jedoch nicht intensiv mit diesen Fragestellungen befasst, für das Heymann-Zitat gibt es keine Vertiefung der Ausführungen in ihren Schriften. Ganz sicherlich nicht sind sie Wegbereiterinnen der mörderischen „rassehygienischen“ oder „Euthanasie-Programme“ der Nationalsozialisten.

Nach reiflicher Diskussion hat die LAG Lesben in NRW den Preis für couragierte Lesben umbenannt und will zukünftig verstärkt auf die Ambivalenzen von Vorbildern eingehen, ihre Widersprüche im Denken und Handeln hinterfragen und ernstnehmen. Wir begrüßen es, wenn sich Historiker_innen weiterhin kritisch mit der ersten Frauenbewegung auseinandersetzen und wollen diese Kritik in die Preisverleihungen einfließen lassen, damit Lesben ermutigt werden, verantwortlich zu handeln und sich einzumischen.

Wir danken Dr. Christiane Leidinger und Lena Laps ausdrücklich dafür, dass sie uns auf die Ambivalenz unserer zwiespältigen Ahninnen hingewiesen haben.

Die Namensgeberinnen des ersten Preises

Als Namensgeberinnen des Augspurg-Heymann-Preises wurden zwei Frauen gewürdigt, „die“ – so beschrieben sie es selbst in ihren Memoiren Erlebtes – Erschautes „… die Vorurteile ihrer Zeit zu überwinden hatten, sich als gereifte, auf- und vorwärts strebende Menschen in gleicher Weltanschauung begegneten, um in treuer Freundschaft und ungetrübter Verbundenheit jahrzehntelang den Kampf für Freiheit und Aufstieg zu führen“:

Dr. jur. Anita Augspurg (geboren am 22. September 1857 in Verden/Aller, gestorben am 20. Dezember 1943 in Zürich) und Lida Gustava Heymann (geboren am 15. März 1868 in Hamburg, gestorben am 31. Juli 1943 in Zürich) – zwei politisch-feministische Aktivistinnen, die in der Zeit zwischen 1890 bis zu ihrem Tod 1943 in der ersten deutschen Frauenbewegung und der internationalen Frauen-Friedensbewegung gewirkt haben.

Gewürdigt wurde nicht das Paar an sich für sein Paar-Sein, sondern das Engagement der beiden Frauen in ihrer Verbindung – das kompromisslose Zusammenstehen und Zusammenhalten, die Mut machende Kraft, die beide augenscheinlich aus ihrer Verbundenheit gezogen haben, die von Toleranz und gegenseitigem Respekt geprägt war.

Augspurg und Heymann gehörten zum radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung in Deutschland und kämpften leidenschaftlich für das Frauenwahlrecht und die völlige Gleichberechtigung für Frauen. Sie arbeiteten publizistisch und gaben verschiedene Zeitschriften zur ’Stellung der Frau in Staat und Gesellschaft’ heraus. Sie mischten sich überparteiisch und strikt frauenbezogen in die Tagespolitik ein, engagierten sich in verschiedenen Vereinen und Verbänden zum Frauenstimmrecht, beobachteten und kommentierten mit hohem Sachverstand die Arbeit der Parlamentarier und initiierten Aktionen nach dem Vorbild der englischen Suffragetten.

Unter dem Eindruck des ersten Weltkriegs bestimmten internationale Friedensaktivitäten immer mehr ihr politisches Wirken. 1915 gründeten sie gemeinsam mit Delegierten aus 12 Ländern in Den Haag die „Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit“ und verabschiedeten eine leidenschaftliche Resolution zur sofortigen Aufnahme von Friedenverhandlungen. Dieses internationale Bündnis bildete fortan den wesentlichen Organisationsrahmen für ihren weiteren Kampf.

Augspurg und Heymann galten auch in der öffentlichen Wahrnehmung als führende Köpfe der internationalen Frauen-Friedensbewegung. Als solche gerieten sie auf die „schwarze Liste“ zu liquidierender Personen der Nationalsozialisten. Zum Zeitpunkt der Machtergreifung 1933 befanden sie sich auf einer Auslandsreise. Sie kehrten nicht wieder nach Deutschland zurück sondern begaben sich direkt ins Schweizer Exil. Ihr gesamter Besitz wurde enteignet und ihr Archiv zur Frauenbewegung vernichtet.

Von der Schweiz aus engagierten sie sich weiterhin europaweit. Beide starben 1943 kurz nacheinander in ihrem Züricher Asyl.

Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann sind würdig in Erinnerung zu bleiben als unbeirrbare, mutige Streiterinnen für Frieden und Freiheit in der Welt. Sie sind vorbildhaft dafür, sich mit Leidenschaften nicht zu verstecken, Einschüchterungen nicht zu beugen und von Anfeindungen nicht beirren zu lassen, offen, ehrlich und authentisch, vor allem selbstverständlich zu leben.